Radweg Blumenkohl
Bild: Oliver de Neidels

Rückblick auf 2022/Ausblick auf 2023: Fahrradstadt? Oder lieber doch nicht?

· von

Gemischte Gefühle und wenig Bewegung. Das Jahr 2022 sollte das Jahr der Weichenstellung werden. Aber aus vielerlei Gründen klemmten die Weichen leider. Das betraf nicht nur Projekte im Zusammenhang mit dem Radfahrplan, sondern auch viele andere Bauprojekte in der Stadt.

Die Vorraussetzungen waren gut. Im Ausblick auf das Jahr 2022 war ich sehr optimistisch, dass zeitnah in vielen Bereichen erste Verbesserungen zeigen. Aber die zu bohrenden Bretter sind manchmal dicker als gedacht und Kriege und Krankheiten sind nicht immer planbar. Auch wenn noch nicht viel passiert ist, so wurde doch in vielen Bereichen eine Planung angeschoben.

Was ist 2022 in Sachen Radverkehr in Jever passiert?

Vorweg: Vieles, was geplant wird, zieht sich über mehrere Jahre hin. Idee, Antrag, Beratung, Planung in einem Jahr, Bereitstellung von Haushaltsmitteln, Ausschreibung und Umsetzung im folgenden Jahr. Das zählt schon als schnell – aus der freien Wirtschaft kommend tue ich mich immer noch schwer damit.

Direkt zu Beginn des Jahres haben Grüne und SPD drei Anträge gestellt, um die Umsetzung des Radfahrplans zu beschleunigen. Inhaltlich wurden davon zwei behandelt und verabschiedet: Zum einen ist das der Beitritt Jevers zu Städteinitiative „Lebenswerte Städte”, die im Juni beschlossen wurde. Die Initiative setzt sich dafür ein, dass Kommunen die Tempolimits auf ihren Straßen einfacher selber bestimmen dürfen. Dieser Beschluss hat erstmal keine Auswirkungen in der Stadt. Er ist eher ein Signal an den Gesetzgeber.

Außerdem hatten wir beantragt, dass auf den Haupt- und Verbindungsstraßen der Stadt Ketten mit Fahrradpiktogrammen aufgebracht werden. Damit soll den oftmals regelunkundigen Autofahrer*innen gezeigt werden, dass Fahrräder in diesen Straßen grundsätzlich erstmal auf der Fahrbahn fahren sollen und der Gehweg von unsicheren und langsamen Radfahrenden genutzt werden darf. Dazu sollen Schilder mit dem Hinweis „Radfahren auf der Fahrbahn erlaubt“ aufgestellt werden. Dies ist nur als Übergangslösung zu sehen, bis an allen Hauptstraßen der Stadt sichere Radwege vorhanden sind. Der Antrag wurde vom Rat angenommen und für die Piktogrammketten und Schilder wurde im Haushalt 2023 Gelder eingeplant. Dies betrifft den Verlauf der alten B210 zwischen Ortseingang Richtung Wiefels und dem Kreisverkehr bei Famila, den Straßenzug Adolf-Ahlers-Straße/Ziegelhofstraße und die Anton-Günther-Straße. Für die Bahnhofstraße, Schützenhofstraße und Rahrdumer Straße ist der Landkreis Straßenverkehrsbehörde und die Piktogramme dort können nicht von der Stadt Jever angeordnet werden. Dies ist aber trotzdem auch erwünscht, weil die Rechtslage dort zu ähnlich ist um eine andere Regelung umzusetzen.

Der dritte – und wichtigste – Antrag zur Leitplanung Radwege wurde in 2023 leider noch nicht einmal behandelt, deshalb dazu unten mehr.

In der Anton-Günther-Straße wurde (ebenfalls auf rot-grüne Initiative) zusätzlich zu den Piktogrammen auch die Reduzierung auf Tempo 30 beschlossen. Als Grund wird die Verkehrsbelastung bei gleichzeitig fehlender Möglichkeit der Einrichtung von Fahrradinfrastruktur angegeben. Es ist dort schlicht kein Platz für Radwege vorhanden. Auch der schmale Gehweg darf nicht für Radfahrende freigegeben werden. Das bedeutet also, dass hier alle ab einem Alter von 11 Jahren im Mischverkehr auf der Fahrbahn unterwegs sein müssen. Das geht bei Tempo 30 besser als bei Tempo 50. Außerdem wird in dem Zuge ein Halteverbot auf der Fahrbahn angeordnet, um speziell den Busverkehr nicht zu sehr auszubremsen. Tempo 30 und Halteverbot sind erstmal nur zwischen Mühlenstraße und Lindenallee beschlossen worden. Eine sinnvolle Verlängerung bis zum Bahnhof wird derzeit geprüft. Hier ist eine Verkehrszählung nötig um nachzuweisen, dass die Verkehrsmenge in diesem Abschnitt ähnlich hoch ist wie im restlichen Teil. Das Ergebnis dürfte aber nicht überraschend sein, so dass wir im Jahre 2023 hier mit der Umsetzung rechnen dürften.

Die ursprünglich vor dem Graftenhaus geplante, dann auf den Theodor-Pekol-Platz verlegte überdachte Fahrradabstellanlage ist mittlerweile glücklicherweise wieder für den Platz vor der Graftenhaus geplant. Der Planung ist fortgeschritten und wird wohl auch im Jahr 2023 umgesetzt.

Ebenfalls in 2023 werden die schlimmsten Schadstellen des Radwegs in der Bahnhofs- und Schützenhofstraße ausgebessertmit Geld, das ursprünglich für den Neubau von Infrastruktur in diesem Jahr vorgesehen war. Die Planung hier ist aber schwierig, weil die Landesstraße in Zusammenarbeit mit der NLStBV („Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr“) in Angriff genommen werden muss. Dafür ist nach Jahrzehnten Renovierungsstau endlich klar, wer für welche Teile der Straße zuständig ist: Das Land für die Fahrbahn und den Radweg, die Stadt für den Parkstreifen und den Gehweg. Das dies vorher nicht bekannt war, zeigt allerdings auch nur, dass sich niemand wirklich ernsthaft mit der Situation befasst hat. Die erste Prüfung in Amtsstuben ist bekanntlich die der Zuständigkeit.

Fahrradbügel wurden auch gebaut, so werden nach und nach weitere alte Bügel durch neue ersetzt. Neue Bügel kamen mit dem barrierefreien Umbau einiger Bushaltestellen dazu. Die meisten davon in der Mühlenstraße. Dort gab es schon lange einen SPD-Antrag, der die Umwandlung von Pkw-Stellplätzen in Fahrradparkplätze zum Inhalt hatte. Aber auch in Zukunft muss immer geschaut werden, ob die vorhandenen Bügel bedarfsgerecht sind. Besonders am Alten Markt und in der Großen Wasserpfortstraße sind die im letzten Jahr installierten Fahrradbügel oftmals schon an der Kapazitätsgrenze, während es zu viele ungenutzte Autostellplätze gibt.

Die für Radtouren wichtigen Schotterwege in der Stadt und umzu wurden in diesem Jahr auf einer Länge von 12 km aufgearbeitet. Es bleibt immer abzuwarten, wie lange sich die Wege halten bis sie wieder etwas Pflege brauchen. Besonders bei schlechtem Unterbau oder bei Mitnutzung durch Kraftfahrzeuge leidet die Qualität sehr schnell.

Oft gewünscht und endlich angegangen wurde die Überprüfung von Umlaufsperren („Drängelgitter“) im Stadtgebiet. Diese sind an vielen Stellen überflüssig und fungieren effektiv als Straßensperren für alles, was kein Standardfahrrad ist: Lastenräder, Dreiräder oder Räder mit Anhänger müssen leider Umwege fahren. Es wurden einige Sperren zur Demontage freigegeben, aber leider bleiben noch zu viele Sperren übrig. Einige Sperren sind auch nicht überprüft worden. Möglicherweise gibt es einfach kein komplettes Kataster. Es werden also auch in Zukunft noch Überprüfungen nötig sein.

Radwegebau Richtung Heidmühle, Sandelermöns und Oestringfelde

Innerorts geht es nicht voran mit den Radwegen, dafür ist außerorts viel in Planung.

Die Radvorrangroute zwischen Jever und Sande wird im Abschnitt zwischen Jever und Schortens auf 3 Meter Breite ausgebaut. Für die Planung sind auf Antrag der Grünen 50.000 Euro in den Haushalt eingestellt worden. Der Wunsch ist es, dass hier noch 2023 gebaut wird – zur Not auch nur bis zur Stadtgrenze nach Schortens. Der Bau ist besonders einfach, weil dort keine Grundstückskäufe nötig sind. Der gesamte Straßenraum ist als ehemalige Bundesstraße so breit, dass hier ein großzügiger Radweg gebaut werden kann.

Auf jeden Fall im Jahr 2023 bekommt die Addernhauser Straße zwischen Rahrdum und Oestringfelde endlich einen Radweg von 2,50 Meter Breite. Bisher gibt es hier nur zwei schmale Mehrzweckstreifen, die nicht zum Radfahren einladen. Die Planung ist abgeschlossen, Baubeginn soll im 1. Quartal 2023 sein.

Für den lange gewünschten Radweg Richtung Sandelermöns gibt es auch endlich Fortschritte. Der Radweg wird als sog. „Bürgerradweg“ geplant und gebaut. Dabei zahlt das Land Niedersachsen zwar die Baukosten, die Planung und den Grunderwerb zahlen aber Kommunen bzw. die Bürger vor Ort. Erste Vorarbeiten sind bereits geschehen, möglicherweise wird es hier 2023 auch konkret.

Was ist 2022 leider nicht passiert?

Wie oben erwähnt, feiert der dritte und wichtigste Antrag zur Fahrradstadt von SPD und Grünen bald 1-jährigen Geburtstag – ohne dass er inhaltlich überhaupt mal auf der Tagesordnung stand. Eine „Leitplanung Radwege“ für die Wege an den innerörtlichen Hauptstraßen gibt es also weiterhin nicht und damit auch keine Perspektive für sicheres und zügiges Radfahren abseits von Fahrbahn und Gehwegen. Mit der Leitplanung sollte ein Plan erstellt werden, wann welcher Abschnitt der Hauptstraßen mit einem Radweg versehen wird. Die Beratungen dazu sollten in 2022 laufen, damit die ersten Abschnitte in 2023 umgesetzt werden können. Die Politik wird hier aber ab sofort Druck machen, damit der Kern des „Radfahrplans 2021-30“ – die Schaffung von guten Radwegen an den Hauptstraßen – auch innerhalb des vorgegebenen Zeitraums bis 2030 geschafft wird.

Wie viele andere geplante Investionen konnte auch im Bereich Radwegebau das eingeplante Geld nicht verbaut werden. Hier waren 200.000 Euro betroffen, die aus dem Masterplan Jever jedes Jahr für die Umsetzung des Radfahrplans vorgesehen sind. Selbst diese  Summe liegt schon deutlich unter den vom ADFC geforderten 30 Euro pro Einwohner und Jahr, die in den Radverkehr investiert werden sollten – und wurden eben nicht verbaut. Hier hilft auch die Leitplanung: Man muss sich nicht ständig überlegen, was als nächstes gemacht werden könnte. Der Plan liegt in der Schublade und wird nach und nach abgearbeitet. Damit die Summe nicht gänzlich verfällt, wird sie nach Initiative der Grünen in die Instandsetzung der Bahnhofs-/Schützenhofstraße investiert – zusätzlich zu den 200.000 Euro des Jahres 2023 aus dem Masterplan.

Im Haushalt 2022 waren außerdem noch 100.000 Euro für die Erhaltung und Sanierung von Wegen vorgesehen. Im Vorjahr wurde die Oberfläche eines Teilstücks des Gehwegs an der Wittmunder Straße damit erneuert (aber leider nicht verbreitert). In diesem Jahr ist mit dem Geld auf den ersten Blick nichts passiert.

Die Reduzierung der Geschwindigkeiten an Straßen ohne eigenständige und benutzbare Radwege zieht sich wie Kaugummi. Die klare Empfehlung ist, dass Mischverkehr auf Hauptstraßen nur bis Tempo 30 zugelassen werden sollte. Mit der künftigen Regelung für die Anton-Günther-Straße wurde diese (andernorts übliche) Begründung erstmals für eine Temporeduzierung akzeptiert und kann als Muster für ähnliche Straßen dienen. Tempo 30 im Straßenzug Adolf-Ahlers-Straße/Ziegelhofstraße oder im kompletten Bereich Kostverloren/Schlachte/Wangerländische Straße sind somit greifbar. Das Ziel Tempo 30 innerorts als Regelgeschwindigkeit ist aber wohl nur über die Bundespolitik zu erreichen.

In der Adolf-Ahlers- und Ziegelhofstraße ist das Radfahren auf dem Gehweg immer noch gestattet, auch wenn die Gehwegbreiten dies bei Weitem nicht hergeben. Nur im Bereich des EDEKA-Marktes (zwischen Einmündung Normannenstraße und Bahnhofstraße) darf in Richtung Bahnhofstraße nicht auf dem Gehweg gefahren werden. Besonders hier wäre das aber sinnvoll, um sich nicht in die Schlange an wartenden Fahrzeugen einreihen zu müssen. Aktuell müsste sich eine 11-jährige dort in die Autoschlange stellen (was niemand machen und verlangen wird). Die Ideallösung für diese Straße gibt es wohl nicht, aber zumindest Tempo 30, die Aufhebung der Gehwegfreigabe und das Ausschließen des Durchgangs-LKW-Verkehrs wäre hier möglich um die Situation zu verbessern. Die Einmündungssituation an beiden Enden des Straßenzugs (zur Wittmunder Straße und zur Bahnhofstraße) ist weiterhin nicht zufriedenstellend und unfallträchtig. Auch vor dem Hintergrund der neuen obersten Maxime der Verkehrsgesetzgebung – „Vision Zero“ sind hier Änderungen geboten bevor ein schweres Unglück passiert.

Was passiert außerdem noch 2023?

Zu den genannten Punkten kommen noch Änderungen im Innenstadtbereich. Durch das Sanierungsgebiet Wallanlagen soll es zu Änderungen bei den Geh- und Radwegen im Grüngürtel der Stadt kommen. Es ist ein umlaufender Radweg an der Außenseite der Graften (also entlang Elisabethufer/Von-Thünen-Ufer) geplant. Dazu gibt es aber noch erheblichen Beratungsbedarf was Breite, Wegeführung und Oberfläche angeht. Klar ist: Wenn bisher als Geh- und Radweg freigegebene Wege in den Wallanlagen künftig nur noch touristische Flanierwege und keine Alltagswege mehr sind, muss es einen sinnvoll nutzbaren Ersatz geben, sonst fahren Radfahrer*innen künftig da, wo sie nicht sollen. In der Altstadt ist das Radfahren aufgrund des Kopfsteinpflasters in weiten Teilen nicht zumutbar. Wenn nun also die Möglichkeit der Nutzung der Wallanlagen verschwindet, werden es viele mangels Alternative trotzdem machen. Nicht nur wegen dieser Diskussion gilt für das Thema also auch: Die Umsetzung könnte sich auf das Folgejahr verschieben.

Zusätzlich stehen noch die Bushaltestellen „Gewerbegebiet“, „Schützenhofstraße“ (beim Schützenhof), „Rahrdum-Kreisel“ (ehemals StoV) und Cleverns-Kirche zum barierefreien Umbau an. Bis auf die letztgenannte Haltestelle, bei der nur ein reiner Gehweg vorhanden ist (und auch kein Platz für mehr ist), liegen alle anderen an den Radhauptrouten und müssen entsprechend mit Bedacht geplant werden. Wenn der Umbau wie bei den im Jahr 2022 umgebauten Haltestellen erfolgt, gibt es dort aber keine großen Befürchtungen.

Das Innenstadtkonzept (das sich im Teilbereich Mobilität fast nur ums Parken dreht) wird in der ersten Hälfte des Jahres fertig. Daraus könnten sich auch Änderungen für den Radverkehr ergeben. Ein erster Zwischenbericht stellte schon einmal klar, dass es zu viele Parkflächen in der Stadt gibt (übrigens fast wortgleich mit dem Verkehrsentwicklungsplan von 2015). Vielleicht können Teile dieser Flächen für nachhaltige Mobilität genutzt werden (Parkflächen für Sharing-Anbieter, Fahrrad-/Lastenradparkplätze, etc.)

Außerdem ganz oben auf der politischen Agenda: Die Schulwegsicherheit aller Schul- und Kindergartenstandorte der Stadt, insbesondere das Thema Elterntaxis – mehr dazu bald.

Fazit

Kein verschenktes Jahr auf dem Weg zur Fahrradstadt, aber zumindest gefühlt ein Jahr Pause. Die Gründe sind im einzelnen alle nachvollziehbar, in der Summe aber natürlich ärgerlich. Die relativ geringen Fortschritte gemessen am gesetzten Ziel sind teilweise ernüchternd. Auch wenn es schön ist, dass außerorts die Wege besser werden, muss der Fokus wieder mehr auf den Alltagsverkehr innerorts gelegt werden. Teilweise nutzen mehr als 2.000 Radfahrende am Tag die schlechten Wege an den Hauptrouten (bis zu 20% Anteil am Gesamtverkehr!). Die zur Verfügung gestellten Wege sind aber einfach nur unterirdisch. Es ist auch nicht zu vermitteln, dass für den Autoverkehr in einem nicht einmal 200 Meter langen Straßenabschnitt in der Albanistraße ohne große Diskussion 2,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden sollen, der Radverkehr aber um jeden Euro betteln und kämpfen muss.

Der Optimismus, mit dem ich in dieses Jahr gestartet bin, ist leider verflogen. Ich würde mich freuen, wenn er im nächsten Jahr wiederkommt. Im Augenblick überwiegt erstmal die Skepsis.

Diesen Artikel teilen: Facebook Twitter

Über den Autor

von Oliver de Neidels

Mein Name ist Oliver de Neidels, ich bin 1979 geboren und wohne seitdem in der friesischen Kleinstadt Jever. Ich bin selbständig und habe ein kleines Unternehmen, das Webseiten wie diese hier baut.

Außerdem engagiere ich mich in der Lokalpolitik und bin Mitglied des Jeverschen Stadtrats. Meine Lieblingsthemen sind die Verkehrswende im kleinstädtischen Maßstab und der Umbau zur „Stadt von Morgen“.