Sophienstift Blickrichtung Albanistraße
Bild: Oliver de Neidels

Sanierungsfall Brücke Albanistraße: Neubau oder neue Chance?

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Mitten in Jever gibt es eine Brücke, die den meisten Menschen bisher gar nicht als Brücke aufgefallen sein dürfte. Dieses Bauwerk in der Albanistraße über die Schlossgraft ist baufällig und muss erneuert werden. 2,1 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Ganz schön viel Geld für so ein kleines Stück Straße.

Über diese Brücke sind wir wohl schon fast alle einmal gegangen oder gefahren und doch ist ziemlich unbekannt, dass sie überhaupt da ist. Auch der Straßenname sagt vielen Jeveraner*innen nichts. Im Herzen der Stadt zwischen Kirchplatz und Rathaus gelegen, war die Albanistraße bis in die 50er eine ganz normale Altstadtstraße am Premiumstandort mit Blick zum Schloß. Nicht nur deshalb war dort unter anderem auch die jeversche Hauptfiliale der LzO zu finden. Die Straße war dabei ziemlich verwinkelt mit unterschiedlichen Breiten. Kein Vergleich zum großen geschwungenen Bogen, den wir dort heute finden.

Faktenbox Albanibrücke

Fakten zur Albanibrücke

Baujahr 1959, Sanierung um 1990

Brücke erstreckt sich etwa zwischen der Einmündung Kleine Burgstraße und gegenüber der Verengung bei der Hausecke Schloßstraße 3

Nur ein Teil der Straße ist auf der Brücke (maximal bis zur Mitte der Fahrbahn in der Kurve vor der Fußgängerzone), sonst hauptsächlich der Gehweg an der Seite der Schlossgraft

Dort fahren etwa 2000-2500 Kfz/Tag lt. Verkehrsentwicklungsplan 2016 (Schätzung, weil an der Stelle nicht gemessen wurde)

Fahrbahnbreite zwischen 5 und 6 m

Gehweg an Häuserecken Schloßstraße 3 und 6 nur knapp über 1 m bzw. 1,40 m breit.

Gehwege für Radfahrer freigegeben

In den 50er-Jahren wurde dann beschlossen, den Straßenzug zwischen Lindenallee und Mühlenstraße zur Hauptstraße auszubauen. Vermutliche Gründe damals: Die Erreichbarkeit des Kreisamtes an der Lindenallee mit dem Auto sollte verbessert werden und vermutlich noch wichtiger: Die Feuerwache war noch auf dem Kirchplatz und das Krankenhaus Sophienstift als solches in Betrieb. Einsatzfahrten durch verwinkelte Altstadtstraßen sollten vermieden werden. Die Idee der „autogerechten Stadt“ machte indes auch nicht vor der friesischen Kleinstadt halt. Städte wurden in den 50er- und 60er-Jahren allerorts für das Auto umgebaut und so manches Haus musste weichen. So war es auch beim Ausbau der Albanistraße. Die Schlossgraft wollte man nicht zuschütten, also wurde über die Böschung eine Brücke gebaut und die Straße verbreitert. Um 1990 herum im Zuge der Altstadtsanierung wurde der Straßenkörper nochmals modernisiert. Die Unterkonstruktion selber wurde nicht grundlegend geändert.

Heute hätte solch ein Projekt wohl keine Aussicht auf Erfolg: Alleine der Gedanke, einen Teil der Schloßgraft mit einer Brücke zu überdecken und Altstadthäuser abzureißen um eine Hauptstraße durch das Herz der Stadt zu treiben würde wohl die Leserbrief- und Kommentarspalten der Digital- und Papiermedien auf Monate hinaus füllen.

Aber gilt das auch für den Fall der Neuplanung eines solchen Projektes in der heutigen Zeit? Oder wird es nun einfach abgenickt und durchgewunken und die autozentrierte Verkehrsplanung der 60er-Jahre für die nächsten Jahrzehnte weiter betoniert?

Albanistraße Brücke Lage
Um diese schmale Sichel geht es: Die Brücke ist zum größten Teil unter dem Bürgersteig auf der Seite der Schlossgraft. Die Fahrbahn der Albanistraße führt nur in kleinen Teilen über die Brücke.

Die Brücke ist sanierungsbedürftig

Dass wir uns überhaupt mit dieser Frage beschäftigen müssen liegt an der überschrittenen Lebensdauer des Brückenbauwerks. Bei einer Überprüfung im April 2022 wurden erhebliche Korrosionsschäden festgestellt. Im Prüfergebnis steht, dass „die Standsicherheit und/oder Verkehrssicherheit des Bauwerks (…) erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben“ ist. Als erste Maßnahme wurde die Durchfahrt für Fahrzeuge mit mehr als 3,5 t zul. Gesamtgewicht verboten – mit zweifelhaftem Erfolg: es hält sich wie zu erwarten fast kein Lkw daran. Für eine Instandsetzung der Brücke ist es wohl zu spät.

Im letzten Quartal des Jahres 2022 musste deshalb entschieden werden, wie mit der Brücke weiter verfahren wird. Von der Verwaltung wurde ein Ersatzneubau vorgeschlagen. Die Planungen dazu folgen erst noch, aber die neue Brücke müsste wohl deutlich breiter ausfallen als bisher. Fahrzeuge und Fußgänger brauchen genug Platz nach heutigen Standards. Als Kosten stehen mindestens 2,1 Millionen Euro im Raum. Für ein knapp 200 m langes Stück Straße ist das eine ziemlich happige Summe. Deshalb sollten auch Alternativen geprüft werden.

Über das Niedersächsische Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (NGVFG) können mögliche Zuschüsse von etwa 1,14 Millionen Euro generiert werden, aber trotzdem bleiben etwa 1 Million Euro Eigenanteil. Um diese Förderung zu bekommen, musste ein Ersatzneubau in den Haushalt 2023 eingestellt und die Planungsarbeiten auf den Weg gebracht werden. Die Kosten hierfür liegen bei 90.000 Euro – dieses Geld ist auf jeden Fall weg. Und: Über das NGVFG förderfähig sind vereinfacht gesagt nur Hauptverkehrsstraßen. Um die Förderung zu bekommen, muss die Albanistraße eine Hauptverkehrsstraße bleiben. Ansonsten ist der Neubau nicht über dieses Programm förderfähig.

Ist die Albanistraße eine Hauptverkehrsstraße?

Seit dem Ausbau 1959 ist die Albanistraße als Hauptverkehrsstraße eingestuft. Die Verkehrsmengen geben dies aber nicht wirklich her. Die letzte Zählung ist von 2015, als der Verkehrsentwicklungsplan für die Stadt geschrieben wurde. Damals wurde an dieser Stelle aber nicht gemessen, sondern nur an der Kreuzung Alter Markt und an der Sophienstraße Höhe Kreisamt. Diese Zahlen sind nicht ganz eindeutig für die Albanistraße, so dass die Anzahl der Kfz dort nur geschätzt werden kann. 

Am Alten Markt fahren 4350 Kfz in die Schloßstraße rein bzw. raus. Ein Großteil dieser Fahrzeuge wird aber vom Alten Markt kommend direkt auf die beiden Parkplätze vor dem Graftenhaus/Schloßplatz fahren bzw. von dort kommen. Von der anderen Seite an der Sophienstraße wurden etwa 2750 Kfz in beide Fahrtrichtungen gezählt. Hier gibt es ebenfalls einen großen Parkplatz beim Landkreis, der für einiges an Verkehr verantwortlich ist. Die Fahrzeuge von/zu den Parkplätzen fahren aber gar nicht über die Albanibrücke. Die oft betonte Summe von „knapp 4500 Kfz“ stimmt also nicht. Vermutlich sind es eher zwischen 2000 und 2500 Kraftfahrzeuge, die dort täglich entlang fahren. Keinesfalls aber mehr als die 2750 Kfz, die durch die Sophienstraße fahren. Das sind keine Zahlen, die die Einstufung als Hauptverkehrsstraße mit den damit verbundenen Einschränkungen rechtfertigen. Es scheint eher so, als dient der Status der Hauptverkehrsstraße nur dazu, Fördergelder zu erhalten. Das ist natürlich einerseits recht schlau – aber auch schade, weil es die ernsthafte Beschäftigung mit Alternativen verhindert.

Hauptverkehrsstraße ist die Strecke im Übrigen für die vielen Fußgänger*innen zwischen Kirchplatz/Fußgängerzone und Altem Markt. Die müssen sich aber stellenweise um enge Häuserecken drücken, weil sie nur etwas mehr als einen Meter Platz haben. Den vorhandenen Fußweg müssen sie sich dazu noch mit Radfahrenden teilen, die dort ebenfalls fahren dürfen – ein Zustand, der schon lange abgeschafft gehört.

Und im Vergleich mit Hauptverkehrsrouten für den Radverkehr wie die Bahnhofs- oder Mühlenstraße, die von den Radverkehrsmengen vermutlich bei ähnlichen 2000 Fahrzeugen am Tag liegen, werden die Bauchschmerzen noch größer. Für die Albanibrücke werden im Handstreich 2,1 Millionen Euro eingeplant, weil der Autoverkehr sonst eingeschränkt wird. Radfahrende in der Stadt müssen seit Jahren betteln, dass sich etwas verbessert – und bekommen nichts. Es gibt an keiner Hauptstraße einen vernünftigen Radweg und es ist auch keine Planung bekannt. Mit 2,1 Millionen (die im Übrigen auch gefördert würden) wären viele Probleme gelöst. Aber vielleicht ist ja genug Geld vorhanden, so dass sich auch der Rad- und Fußverkehr künftig über ein Füllhorn freuen kann? In Zukunft kann das Argument der knappen Kassen jedenfalls nicht mehr zählen, wenn es um den Ausbau klimafreundlicher Verkehrsinfrastruktur geht.

Infobox Alternativen

Welche Alternativen gibt es?

Der Ersatzneubau der Brücke mit gleicher Aufteilung ist nur eine Möglichkeit. Welche anderen Alternativen gibt es noch?

Rückbau auf den Stand der 50er Jahre: Die Straßenführung war hier wie in der ganzen Altstadt: Verwinkelt, nicht ganz gerade, nicht für Autos optimiert, dafür für die Menschen gemacht. Der Bereich wird dem verkehrsberuhigten Bereich der Altstadt zugeschlagen und gewinnt dadurch eine ganz andere Qualität: Die Gestaltung näher am Herzstück – dem Schloß – wertet die Große Burgstraße und den nahen Kirchplatz auf. 

Rückbau mit Modalfilter: (siehe Grafik unten) Wie beim vorherigen Punkt, jedoch mit einer Besonderheit: Der Kfz-Durchgangsverkehr wird mit einem Modalfilter an der Engstelle bei der Arztpraxis gesperrt. Hier können nur Fußgänger und Fahrräder durch. Kfz fahren von Richtung Amtsgericht auf den Kirchplatz. In der Großen Burgstraße könnte man dann in einer Einbahnstraße (über die Kleine Burgstraße und Große Rosmarinstraße) Kfz-Verkehr erlauben (wie im Rest der Altstadt). Durch den gewonnenen Platz könnte vor der Arztpraxis ein Kurzzeitparkplatz eingerichtet werden.

Schmaler Rückbau mit Einbahnstraßenregelung und breiten Gehwegen auf beiden Seiten: Durch den kleineren Straßenquerschnitt kann auf die Brücke verzichtet werden. Im mittleren Bereich könnte eine Spundwand nötig sein.

Schmaler Rückbau mit Shared Space: In einem Shared Space teilen sich alle Verkehrsteilnehmer die vorhandene Verkehrsfläche (ähnlich wie in einem verkehrsberuhigten Bereich). Eine Temporeduktion ist zwingend nötig, weil Fußgänger und Pkw nicht mehr getrennt unterwegs sind. Begegnungsverkehr bleibt aber weiterhin möglich. Die bauliche Gestaltung muss aber unbedingt eine niedrige Geschwindigkeit erzwingen. Auch hier könnte eine Spundwand nötig sein. Hier könnte der Status einer Hauptverkehrsstraße evtl. erhalten bleiben und die Förderung fließen.

Albanistraße Brücke Vorschlag Verkehrsführung mit Modalfilter
Ein Vorschlag für eine neue Verkehrsführung (Rückbau mit Modalfilter). Die Albanibrücke wird zurückgebaut und die Straße wird zu einer normalen Altstadtstraße. Nur Fahrräder und Fußgänger können noch durchfahren.

Aber wir können die Brücke doch nicht ignorieren, bis sie einstürzt?!

Eines der Hauptargumente für einen ähnlichen Ersatzneubau wie bisher ist, dass die Verkehrsmenge sich sonst auf die umgebenden Straßen verteilt und dort Autochaos verursacht. Dabei ist der Verkehr auf der Strecke sehr diffus: Es gibt keine klare Quelle oder ein klares Ziel dort. Die eine Ausweichstrecke, die dann überlastet wird, gibt es deshalb auch nicht. Der Verkehr wird sich eher auf verschiedene Routen verteilen bzw. teilweise sogar ganz vermieden werden oder auf andere Verkehrsmodi (Fuß- oder Radverkehr) umsteigen. Und: wie aufgezeigt fahren dort gar nicht so viele Kraftfahrzeuge wie angenommen.

Es steht außer Frage, dass Handlungsdruck besteht. Das schlimmste, was passieren kann, ist dass die Straße an der Stelle wegen akuter Einsturzgefahr gesperrt werden muss. Sie wird deshalb laufend überwacht.

Für die Dauer der Bauphase von etwa einem Jahr wird eine Sperrung aber sowieso zwingend sein. In dieser Zeit wird sich der Verkehr also Alternativen suchen müssen. Das wird in den ersten Tagen sicher etwas unübersichtlich werden, aber sobald alle ihre neuen Wege gefunden haben (oder vielleicht sogar Wege vermeiden bzw. auf besser Verkehrsmittel wie Fuß oder Rad umsteigen), hat sich das Verkehrsgeschehen eingespielt. Die 2500 Kfz am Tag werden sich für die Dauer der Bauphase auf die Anton-Günther-Straße und das Elisabeth-/Von-Thünen-Ufer verteilen. Nach Abschluss der Bauarbeiten hat sich dann die neue Brücke als überflüssig erwiesen, weil alle auch gut ohne zurecht kommen. Das Prinzip des „Induzierten Verkehrs“ funktioniert nämlich auch in der Gegenrichtung. Es gilt also nicht nur „mehr/bessere/schnellere Straßen = mehr Autoverkehr“, sondern auch „weniger/schmalere/langsamere Straßen = weniger Autoverkehr“.

Wir könnten in einem Verkehrsversuch die Straße schon jetzt einmal testweise sperren bzw. zur Einbahnstraße oder Shared Space mit Geschwindigkeitsreduzierung machen um eine geänderte Verkehrsführung zu auszuprobieren.

Infobox Verkehrsversuch

Was ist ein Verkehrsversuch?

Bei einem Verkehrsversuch werden geplante Änderungen der Verkehrsführung erstmal probeweise für ein paar Monate provisorisch eingerichtet. Typischerweise beträgt die Testphase drei bis zwölf Monate. Im Vorfeld und während des Versuchs werden die Verkehrsströme im Umfeld gezählt und laufend wird der Verkehr überwacht um bei akuten Problemen nachsteuern zu können. Im Rahmen der Verkehrswende sind tiefgreifende Einschnitte in Verkehrsabläufe unausweichlich. Verkehrsversuche sind dabei eine nützliche Hilfe bei der Planung.

Fazit

Wird hier eine Chance vertan und viel Geld in eine überflüssig gewordene Brücke gesteckt, über die längst nicht so viele Autos fahren wie gedacht? Könnte man das Geld nicht an anderer Stelle sinnvoller nutzen und in dringend benötigte Verbesserungen stecken, die über Jahre hinweg versäumt wurden? Zumindest die Alternativen sollte man prüfen und veränderte Verkehrsführungen mit einem Verkehrsversuch ausprobieren.

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Über den Autor

von Oliver de Neidels

Mein Name ist Oliver de Neidels, ich bin 1979 geboren und wohne seitdem in der friesischen Kleinstadt Jever. Ich bin selbständig und habe ein kleines Unternehmen, das Webseiten wie diese hier baut.

Außerdem engagiere ich mich in der Lokalpolitik und bin Mitglied des Jeverschen Stadtrats. Meine Lieblingsthemen sind die Verkehrswende im kleinstädtischen Maßstab und der Umbau zur „Stadt von Morgen“.