Kirchplatz Jever: Autos vor dem Rathaus
Bild: Oliver de Neidels

Kirchplatz-Aufwertung: Bürgerbeteiligung diesmal wenig hilfreich

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Bürgerbeteiligung ist gut und wichtig – aber manchmal auch ein Schuss in den Ofen. So war es in dieser Woche, als es um die geplante neue Verkehrsführung auf dem Kirchplatz gehen sollte.

Bei der Beratung des Antrags zur Aufwertung des Kirchplatzes im letzten KuSiA war eigentlich schon alles klar. Die Sperrung für Fahrzeuge auf einer kurzen Strecke von 40 Metern an der Nordseite war seit Monaten in sämtlichen Beteiligungsgremien zum Innenstadtkonzept einer der größten Wünsche vieler Jeveraner*innen, von den Fachplanern wurde die Idee ebenfalls gelobt und für gut befunden. Auch die Politik war sich dabei ziemlich einig – ein seltenes Ereignis. Und so erstellte die Verwaltung einen Vorschlag und setzte das Thema auf die Tagesordnung. Geplant war ein Verkehrsversuch, bei dem über einen begrenzten Zeitraum von drei bis sechs Monaten der neue Verkehrsfluss mit provisorischen Mitteln getestet werden sollte. Nach dem Testzeitraum sollte dann eine Bewertung der Maßnahme stattfinden. Wenn alles gut gelaufen wäre, hätten wir über die Möglichkeiten der Verstetigung geredet. Bei schlechtem Fazit hätten wir daraus gelernt und das Thema zu den Akten gelegt. Bei ganz schlechtem Verlauf – nach der üblichen Eingewöhnungsphase – wäre der Versuch auch schon früher abgebrochen worden.

Die vorgeschlagene Verkehrsführung hatte aber so ihre Tücken und warf einige Fragen auf, die in der Sitzung nicht geklärt werden konnten. Die anwesenden Anwohner hatten zurecht Bedenken und waren nicht zufrieden mit der Leitung des Verkehrs durch die Kleine Rosmarinstraße. Weil ich mir diese Einwände gerne alle anhören wollte bevor ich eine Entscheidung für die neue Verkehrsführung treffe, habe ich meinen ursprünglichen Antrag (Verzicht auf die nochmalige Bürgerbeteiligung und sofortige Planung der Umsetzung) nicht gestellt.

Es wurde also die Bürgerbeteiligung geplant, bei der verschiedene Varianten einer neuen Verkehrsregelung vorgestellt und Details dazu besprochen werden sollten. Es ging also bei der Veranstaltung nie darum, OB die Kirchplatz-Nordseite für Fahrzeuge gesperrt werden soll, sondern nur darum WIE dies in der Praxis umgesetzt werden soll. An sich ein fürchterlich langweiliges Thema, bei dem es um Kurvenradien von verschiedenen Fahrzeugen, Ummarkierung von Parkplätzen und Einbahnstraßenregelungen geht. Zu langweilig für die meisten Befürworter, die solche Dinge den Fachleuten überlassen wollten und deshalb nicht sehr zahlreich zur Veranstaltung im Graftenhaus gekommen waren. Sie wähnten das Thema – wie auch Ratsleute und Verwaltung – in trockenen Tüchern.

Beste Variante: Umkehrung der Fahrtrichtung

Die Bürgerbeteiligung lief dann aber anders als gedacht. Einige Anwohner waren nach der vorgeschlagenen ersten Variante der geplanten Verkehrsführung skeptisch geworden. Ein paar generelle Gegner der Kirchplatz-Aufwertung und einzelne Bürger, die grundsätzlich gegen Veränderungen in allen Bereichen sind, waren auch vor Ort und taten ihren üblichen Unmut kund. Es wurden wilde Szenarien vom Untergang der Innenstadt heraufbeschworen und einer bekannte ganz offen, dass er grundsätzlich eigentlich sogar nur Vorteile davon hätte, aber weil es angeblich von der falschen Partei käme, wäre er strikt dagegen. Ein Ratsherr nutzte die Veranstaltung zur Selbstdarstellung, hatte zum Thema selber aber wenig beizutragen. Im Anschluss wählte ein Journalist sogar die Überschrift „‚Autofrei‘ würde ‚Ende der Innenstadt‘ bedeuten“ für seinen Artikel über die Veranstaltung.

Das alles machte die eigentlich geplante Diskussion über die Verkehrsführung schwierig, aber letztlich kristallisierte sich eine Variante als geeignet heraus: Die Umkehrung der Einbahnstraßenregelung auf dem gesamten Kirchplatz. So bleiben als Zufahrten die Wangerstraße und die Flamenstraat. Vom Kirchplatz weg führt der Weg über die St.-Annen-Straße und (untergeordnet, weil unpraktisch für die meisten) über die Kleine Rosmarinstraße. Diese Verkehrsführung war früher schon über Jahrzehnte im Einsatz.
 

Geplante Verkehrsführung Kirchplatz
Favorit der Bürger*innen: Die Einbahnstraßenregelung wird umgekehrt. Bild: Oliver de Neidels, Karte: Openstreetmap

Pro und Contra

Vor- und Nachteile der geplanten Verkehrsführung

Die von den Bürger*innen favorisierte Verkehrsführung ist die Umkehrung der Einbahnstraße – statt gegen den Uhrzeigersinn geht es nun in die andere Richtung. Weil der Kirchplatz aber kein Kreisverkehr ist, sondern ein großer Platz, sollte das unschädlich sein. Für den Verkehr bedeutsame Zufahrten sind die Wangerstraße und die Flamenstraat. Die Abfahrt ist über die St.-Annen-Straße möglich. Lediglich die Schrägparkstände müssen temporär ummarkiert werden. Baulich muss dort aber nichts angepasst werden.

Die Sperrung auf der Nordseite gilt übrigens für alle Fahrzeuge, also auch für den Radverkehr. Die Einbahnstraßen auf dem Rest des Kirchplatzes und der Zufahrten bleiben aber wie bisher mit dem Rad in beide Richtungen befahrbar.

Übrigens: Die unter Contra angeführten Argumente könnte man auch auf der Pro-Seite anführen. Es ist ja schließlich durchaus gewollt, dass der Autoverkehr auf dem Kirchplatz unattraktiv gemacht wird. Es bleibt alles weiterhin erreichbar, aber manchmal muss eben ein Umweg eingeplant werden.

Pro

Gewohnte Zufahrten bleiben fast alle erhalten, nur Verkehrsrichtung ändert sich

Einfache Beschilderung: Es geht nur in eine Richtung

Zu- und Abfahrten für Lieferverkehr weiterhin möglich (Für den Wochenmarkt gelten sowieso jetzt schon andere Regelungen)

Verkehr an der Flamenstraat wird weniger, dadurch mehr Sicherheit beim Arzt und bei der Apotheke

Keine Zufahrt mehr über St.-Annen-Straße auf den Kirchplatz, dadurch Verkehrsberuhigung

Contra

Abfahrt über Flamenstraat für Kraftfahrzeuge nicht mehr möglich, dadurch entstehen eventuell Umwege

Keine Zufahrt mehr über St.-Annen-Straße auf den Kirchplatz

Kritik und Angst

Die Kritik an der Kirchplatz-Aufwertung durch die Reduzierung des Autoverkehrs war tatsächlich relativ frei von Fakten. Die einzig begründeten Einwände kamen von einer Geschäftsfrau, die Probleme mit der Warenanlieferung befürchtete und von der Poststelle, die um autofahrende Kunden fürchtete. Die Geschäftsfrau bekam noch in der Sitzung eine Sondergenehmigung versprochen und die Sorgen der Poststelle sind vermutlich eher unbegründet und der gefühlte Autoanteil der Kundschaft deutlich überschätzt – ein Phänomen, das auch in Studien schon nachgewiesen wurde. Die Erreichbarkeit des Kirchplatzes mit dem Auto bliebe aber natürlich trotzdem gegeben, nur eben die kurze Strecke von 40 Meter eben nicht. Kein unüberwindbares Hindernis für Kunden. Bei der nächsten Poststelle beim Edeka in der Adolf-Ahlers-Straße ist der Weg vom Parkplatz zum Schalter auch nicht kürzer.

Die restlichen Argumente der Gegner waren eher gefühlt als durch Argumente begründbar. Allgemeine Unsicherheiten vermischten sich mit der Angst, das eigene Grundstück nicht mehr anfahren zu können oder das der Verkehr deutlich zunimmt. Besonders beim Verkehrsargument wird das Gegenteil der Fall sein: Der reine Durchfahrts- und Autoposerverkehr wird abnehmen, weil ein Herumfahren auf dem Kirchplatz eben nicht mehr möglich sein wird. Auf den Zielverkehr hat das indes keinen Einfluss. Wer auf den Kirchplatz fahren möchte, weil er dort wohnt, zum Rathaus oder in ein Geschäft möchte, der wird das auch weiterhin tun können. Durch die höhere Aufenthaltsqualität wird der Anteil der Fußgänger höher sein und die Menschen werden den Kirchplatz als ruhige, schöne Mitte der Stadt wahrnehmen.

Es wurde eine Möglichkeit der Beteiligung angeboten, aber konstruktiv beteiligen wollten sich viele leider nicht. Man hatte manchmal den Eindruck in einer lebendigen Facebook-Kommentarspalte gelandet zu sein.

Alles ist schlecht und nichts darf sich ändern

Paradoxerweise beklagten sich auch die Gegner der Aufwertung über den Autoverkehr. Er sei oft zu schnell, zu viel und parke überall und nicht nur in den markierten Bereichen. Die Lösung zur Reduzierung des Verkehrs und der angesprochenen Probleme durch die Sperrung des Bereichs war dann aber wohl zu naheliegend. Stattdessen sollen Markierungen auf der Fahrbahn den Autoverkehr an die Schrittgeschwindigkeit erinnern. Vermutlich wird das eher nicht funktionieren – es helfen nur Kontrollen und die bauliche Gestaltung bei der Einhaltung der Geschwindigkeiten. Im Fall von verkehrsberuhigten Bereichen ist das z.B. die Verschwenkung und Verschmälerung von Fahrwegen oder der Einsatz von Pollern als Modalfiltern. Letzteres ist also nichts anderes als die vorgeschlagene Sperrung. Die Markierungslösung wird wirkungslos bleiben und am Ende wird man sich hilflos anschauen und mit dem Latein am Ende sein.

Ad absurdum geführt wurde die Veranstaltung dann mit der Abstimmungsrunde am Ende. Drei mögliche Varianten der neuen Verkehrsführung waren auf Schautafeln aufgestellt. Eine vierte Tafel blieb ohne Pfeile, die den Verkehrsfluss anzeigen. Hier sollte im Laufe der Veranstaltung eine alternative Regelung erarbeitet werden. Es war geplant, dass die teilnehmenden Bürger*innen mit drei Klebepunkten ihre Präferenzen bekunden sollten. Zwei Punkte für die bevorzugte Variante, ein Punkt für die zweitbeste Alternative.

Für die Abstimmung wurde dann spontan in der Veranstaltung die vierte (leere) Tafel dafür genutzt, um gegen eine Veränderung stimmen zu können. Während die Befürworter also vermutlich brav ihre Punkte auf die drei verschiedenen Vorschläge verteilten, konnten die Gegner alle ihre drei Punkte auf eine einzige Tafel kleben. Das Ergebnis ist dann natürlich wenig aussagekräftig – auch vor dem Hintergrund, dass die Veranstaltung gar nicht als Pro- oder Contra-Aufwertung-Wahl geplant und angekündigt war.

Fazit: Was nehme ich nun aus der Veranstaltung mit?

Ich hatte mir die Bürgerbeteiligung gewünscht, weil die Ausschusssitzung Ende Januar noch Fragen ausgeworfen hatte in Bezug auf die beste Verkehrsführung. Für die wenigen begründeten Sorgen und Fragen von Anwohnenden und Gewerbetreibenden wurden dann auch noch in der Beteiligungsveranstaltung eine Lösung von der Verwaltung in Aussicht gestellt.

Die sonstige Kritik war aber leider ziemlich substanzlos, sondern beruhte nur auf der Angst vor Veränderung. Komischerweise kommt solche Kritik aber meist von den selben Leuten, die sich beklagen, dass die Innenstadt angeblich den Bach herunter geht. Es wird angeblich alles immer schlechter, aber ändern darf sich auch nichts. Am besten soll es wieder so werden, wie es vorgestern war. Mit solchen Argumenten verbessert man nichts, sondern verhindert einfach nur notwendige Veränderungen. 

Es wurde eine Möglichkeit der Beteiligung angeboten, aber konstruktiv beteiligen wollten sich viele leider nicht. Man hatte manchmal den Eindruck in einer lebendigen Facebook-Kommentarspalte gelandet zu sein. Für die Diskussion auf Sachebene habe ich hier leider keine neuen Erkenntnisse gewinnen können. Und nochmal: Hier wird auch nicht dauerhaft etwas zementiert, sondern für einen begrenzten Zeitraum eine Aufwertung des Kirchplatzes probiert.

Weil es in der Bürgerbeteiligung keine wirklichen Argumente dagegen gab, hat sich an meiner Meinung dazu auch nichts geändert. Die Verkehrsführung, die sich als am besten geeignet herausgestellt hat, ist die Umkehrung der Einbahnstraße auf dem Kirchplatz (siehe Kasten oben). Für diese Variante werde ich mich einsetzen.

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Über den Autor

von Oliver de Neidels

Mein Name ist Oliver de Neidels, ich bin 1979 geboren und wohne seitdem in der friesischen Kleinstadt Jever. Ich bin selbständig und habe ein kleines Unternehmen, das Webseiten wie diese hier baut.

Außerdem engagiere ich mich in der Lokalpolitik und bin Mitglied des Jeverschen Stadtrats. Meine Lieblingsthemen sind die Verkehrswende im kleinstädtischen Maßstab und der Umbau zur „Stadt von Morgen“.